Global Control and Censorship
[ENA] Im Rahmen der GLOBALE untersucht die Ausstellung
GLOBAL CONTROL AND CENSORSHIP. Weltweite Überwachung und Zensur das
unaufhaltsame Eindringen von Überwachung und Zensur in unseren Lebensalltag.
Die Ausstellung beruht auf der Zusammenarbeit mit KorrespondentInnen in
sechsundzwanzig Ländern.
Sie stützt sich auf die Kooperation mit der Arbeitsgruppe
Netzpolitik am Institut für Politische Wissenschaft der
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg und mit dem Kompetenzzentrum für
angewandte Sicherheitstechnologie (KASTEL) am Karlsruher Institut für
Technologie. Weitere wichtige Kooperationspartner sind die Kunsthochschule für
Medien Köln , Reporter ohne Grenzen, die Künstlerresidenz Villa Aurora Berlin,
der Chaos Computer Club e.V. sowie netzpolitik.org. In mehr als einhundert
aktuellen Arbeiten von 70 KünstlerInnen und WissenschaftlerInnen organisiert
sich die Ausstellung in allen künstlerischen Formaten: Interaktive Exponate
stehen neben Videoarbeiten, Malerei, Zeichnungen,
Fotografien, Installationen und skulpturalen Objekten, Filme
neben Sound Art, Performances und Workshops.Wissen ist Macht. Noch mehr Macht
hat jedoch, wer den Fluss der Informationen beherrscht. Dies gilt vor allem in
der digitalen Kultur, in der alle Informationen im weltweiten Netz unkontrollierbar
überwacht und manipuliert werden können. Die euphorische Nutzung mobiler
Kommunikationsgeräte trägt dazu bei, dass heute Milliarden Menschen weltweit
miteinander verbunden sind. Inhalte und Daten jeder Art werden täglich
milliardenfach generiert und sekundenschnell über den ganzen Globus
übermittelt. Noch bevor sie ihre Empfänger erreicht haben, werden diese Daten
massenhaft durch private Dienstleister und staatliche Dienste abgegriffen,
kontrolliert und anschließend für deren Zwecke
weiterverwendet. Galten die digitalen Kommunikationsformen bisher als
Hoffnungsträger einer neuen demokratischen Mitwirkung, so sind sie in jüngster
Zeit als ideale Türöffner zur perfekten Überwachung und Steuerung von
Milliarden Menschen umgenutzt und pervertiert worden.Wer sie nutzt, wird
genutzt. Das ist die Regel, auf die wir alle uns bequem eingelassen haben, um
von diesen Kommunikationsformen zu profitieren. Smartphones, die ihre
BenutzerInnen auf Schritt und Tritt begleiten, werden ungefragt mit
Spähsoftware infiziert und können ohne unser Wissen selbst im ausgeschalteten
Zustand als Überwachungskameras und Abhörgeräte eingesetzt werden.
Unsere Aufenthaltsorte und Bewegungsprofile sind jederzeit
abrufbar. Unser Surf- und Kaufverhalten, unsere Kontaktdaten, Vorlieben und
Schwächen können jederzeit ungefragt analysiert und weitergegeben werden.
Überwachung und Zensur bedingen sich gegenseitig; sie können nicht voneinander
getrennt betrachtet werden. Überwachung von BürgerInnen sowie von Institutionen
und Unternehmen, ja, auch die Überwachung von demokratisch gewählten
PolitikerInnen und Parlamenten oder von JournalistInnen und RechtsanwältInnen
ist seit jeher der geheime und gleichzeitig offen bekannte Auftrag staatlicher
Dienste gewesen. In jüngster Zeit aber ist diese historische Praxis durch das
staatlich legitimierte Ausspionieren
aller BürgerInnen durch mächtige Dienstleister und
Wirtschaftsunternehmen ausgeweitet worden. Gleichzeitig wird aber die
Weitergabe von für die Allgemeinheit wichtigsten Informationen durch mutige
BürgerInnen und JournalistInnen, ja sogar die Enthüllung illegaler Überwachung,
das Aufmerksam-Machen auf Zensur und Folter durch staatliche Institutionen aufs
Schärfste verfolgt und bestraft. Die absolute Dringlichkeit einer Ausstellung
zu diesem Thema erweist sich jeden Tag aufs Neue. Täglich berichten die Medien
über neueFälle der Ausspionierung sowie über die massive Behinderung der Aufklärun
über eben diese Praktiken. Dass auch in Deutschland staatliche Dienste im
Auftrag und mit Billigung der Regierung gegen das Wohl von BürgerInnen
und Wirtschaft gehandelt haben, ist nicht mehr von der Hand
zu weisen. Parlamentarischen Untersuchungsausschüssen wird durch die Regierung
und von ihr beauftragte Dienste die Einsicht in Unterlagen verweigert, die zur
Aufklärung der betreffenden Fälle beitragen könnte. In totalitären Staaten
verschwinden Wistleblower aus der Öffentlichkeit – sie werden entführt oder gar
ermordet – und die Gefahr, dass sie selbst in Deutschland des Landesverrats
angeklagt werden, ist in letzter Zeit erheblich gewachsen. Neben direkten
Maßnahmen der Einflussnahme und Bestrafung bedient sich ein Überwachungsapparat
immer der Angst als wirksamstes Instrument. Vom Olymp bis ins Alte Testament,
von den Pharaonen bis zur Inquisition, in allen Religionen
Wo dieser Mechanismus nicht funktionierte, bedienten sich
religiöse und weltliche Herrscher in ihrer anmaßenden Allmacht als
Stellvertreter Gottes schon immer allgegenwärtiger Spitzelsysteme, um
Andersdenkende ausfindig zu machen und sie ihrer vermeintlich gerechten Strafe
zuzuführen. So wurden bis zum Ende des 18. Jahrhunderts Schriften und Briefe
von in Verdacht geratenen Wissenschaftlern systematisch durch die Heilige
Inquisition abgefangen, ausgewertet, manipuliert und gegen ihre Absender
verwendet – für diese oft mit verheerenden Konsequenzen.
Wegen abweichender Lehre wurde Jan Hus 1415 in Konstanz auf
dem Scheiterhaufen hingerichtet. Wegen seiner die aristotelische Naturlehre
widerlegenden Thesen wurde Giordano Bruno im Jahr 1600 auf dem Campo dei Fiori
in Rom verbrannt. Dabei ging es weniger um seine Person, als um das öffentliche
Exempel, mit dem andere davon abgeschreckt werden sollten, ihre eigenen
Erkenntnisse kund zu machen. Galileo Galilei wurde 1633 unter Androhung des
Scheiterhaufens zum Widerruf seiner wissenschaftlichen Erkenntnis gezwungen,
die sich gegen die herrschende Lehre der Kirche richtete, die Erde sei der
Mittelpunkt des Weltalls.
Heute, ihm Jahr 2015, werden systemkritische
JournalistInnen, SchriftstellerInnen und WhistleblowerInnen als VerräterInnen
gebrandmarkt, sie werden über alle Kontinente hinweg verfolgt, man droht ihnen
mit Publikationsverbot, mit Hausarrest und Reiseverbot sowie mit lebenslangen
Gefängnisstrafen oder gar dem Tod. Kontrolle mittels elektronischer Medien.
Seit Kriegsende war bekannt und seitens der Regierung der Bundesrepublik
Deutschland akzeptiert, dass durch die Besatzungsmächte systematisch und
gezielt der gesamte Post-, Fernmelde- und Funkverkehr überwacht wurde. Zur
Abwehr der „roten Gefahr“, so wurde dem Volk jahrzehntelang weisgemacht – zur
Abwehr des Terrorismus, so lautet das vielbenutzte Argument heute.
Seit rund drei Jahrzehnten ermöglicht die digitale
Vernetzung nun auch das automatisierte flächendeckende und gezielte Abgreifen,
Verarbeiten und Speichern der über das Internet verfügbaren Informationen sowie
das gezielte Ausspionieren der UserInnen jederzeit und weltweit. Die mutigen
Enthüllungen durch Edward Snowden und andere Wistleblower haben deutlich
gemacht, dass diese Möglichkeiten totaler elektronischer Überwachung von Diensten
westlicher wie östlicher Staaten auf breitester Basis entwickelt und eingesetzt
werden. Hocheffiziente Spähsoftware wird mit Fördermitteln als neue Form der
Waffentechnologie auch an deutschen Universitäten und namhaften
privatwirtschaftlichen Forschungseinrichtungen entwickelt
und ermöglicht lukrative Geschäfte für deutsche Unternehmen
mit totalitären Staaten rund um den Globus. Wie umfassend digitale Überwachung
und Zensur heute funktionieren, zeigte im Juli 2014 das Eingeständnis der CIA,
dass sie die Computer jenes Ausschusses des US-Kongresses manipuliert hatte,
der seinem Auftrag gemäß die CIA selbst demokratisch kontrollieren soll. Unter
anderem waren durch diese Eingriffe erfolgreich Dokumente zu Folterungen durch
die CIA gelöscht worden, mit eben deren Untersuchung genau dieser Ausschuss
beauftragt war. Wie perfekt digitale Überwachung auch in Deutschland
funktioniert, zeigen aktuell die Enthüllungen über jahrelange erfolgreiche
Angriffe auf mehrere Tausend Rechner des Deutschen Bundestags sowie
wichtiger deutscher Politiker. Nachdem zugegeben werden
musste, dass die NSA sogar das Mobiltelefon der deutschen Kanzlerin abgehört
hatte, ist es wahrscheinlich, dass auch diese weiter andauernden Attacken von
einem ausländischen Geheimdienst ausgeführt werden. Es ist dabei in höchstem
Maße beunruhigend, dass solche – möglicherweise auch von „befreundeten Staaten“
durchgeführten – Spähoffensiven in Deutschland nicht konsequent verfolgt
werden. Die Devise lautet: Was technisch möglich ist, darf auch gemacht werden.
Rechtlich und ethisch begründete Bedenken oder freundschaftliche Erwägungen
gegenüber Staaten und Wirtschaftsunternehmen haben keine Gültigkeit
Wir müssen heute grundsätzlich davon ausgehen, dass
politisch und wirtschaftlich bedeutende Informationen auf ihrem Weg vom Sender
zu ihrem Empfänger abgegriffen, bearbeitet und auch verfälscht werden. Die
Massenwirkungen solcher möglicher Manipulationen auf politische
Entscheidungsprozesse, auf Börsen und Märkte und ganz konkret auch auf das
Funktionieren lebenswichtiger technischer Systeme (wie Energie, Verkehr,
Grundversorgung etc.), kann in Zukunft weitaus größer und subtiler sein, als
Angriffe mit traditionellem Kriegsgerät. Neben die Massenanalyse der
kommunikativen Metadaten in elektronischenNetzen und den direkten Zugriff auf
individuelle Daten tritt immer häufiger die offene oder geheime Zensur durch
Störung und Manipulation
Die typische Begründung für Zensur war immer schon die reale
oder vorgetäuschte Infragestellung von Sicherheit durch die Enthüllung von
Information und schließlich die Abwehr vermeintlich terroristischer
Bedrohungen. So ist Sicherheit heute der gängige und billige Schlüsselbegriff
geworden, mit dem jede noch so autoritäre Maßnahme widerspruchslos durchgesetzt
werden kann. Dass Kontrolle und Zurückhaltung von Information, Überwachung und
Bestrafung, die intelligente Manipulation von Wissen und Kommunikation
letztlich aber nicht in erster Linie dazu dienen, die Sicherheit der
BürgerInnen zu garantieren, sondern auch dazu, illegitime Macht aufrecht zu
erhalten, wird nahezu grundsätzlich bestritten.
Ebenso die Tatsache, dass der Begriff Sicherheit zum Zentrum
einer neuen Industrie avanciert ist, die mit gezielt geschürter Angst
gigantische Profite macht. Niemand überblickt heute mehr die technischen
Möglichkeiten von Überwachung und Zensur in elektronischen Netzen. Kein noch so
kritischer Kontrollausschuss hat die präzisen Kenntnisse, die zum Verstehen der
komplexen technischen und gleichzeitig subtilen Maßnahmen von Überwachung und Zensur
notwendig sind. Nicht erst seit den Enthüllungen durch Edward Snowden und
andere Whistleblower begnügen sich Politiker- Innen in demokratischen Staaten
mit der immer gleichen, billigen Dreisatz- Logik: Wer nichts zu verbergen hat,
hat auch gegen Überwachung nichts einzuwenden.
Wer aber etwas gegen Überwachung einzuwenden hat, hat etwas
zu verbergen. Hieraus folgt, dass alle überwacht werden müssen. Genau dies aber
ist und war immer schon das Handlungsprinzip totalitärer Staaten, im Osten wie
auch im Westen. Neben der Kenntnis um tief greifende politisch motivierte
Spähmanöver von staatlicher Seite aus, wissen wir auch längst um die massive
Einflussnahme von Wirtschaftsunternehmen auf den öffentlichen wie auf den
privaten Bereich, auf politische und wirtschaftliche Entscheidungen wie auch
auf unser konkretes, individuelles Verhalten.
Global operierende, an den Börsen hoch gehandelte Konzerne
wie Google, Facebook, Microsoft, Apple, Twitter und viele mehr profitieren
durch ihre massenhafte Datengewinnung gezielt von individuellen und
gesellschaftlichen Abhängigkeiten ihrer NutzerInnen von allen Formen der social
media. Dabei tragen die neu erweckten Bedürfnisse niemals aussetzender
Kommunikation und Unterhaltung durchaus den Charakter von Suchtverhalten in
sich. Während bereits Kindern eine schöne neue Welt digitaler
Daseinsbelustigung nahegebracht wird, werden gleichzeitig ihre künftigen
Käuferprofile ausgeforscht und weiterentwickelt.
Den wenigsten Menschen ist bewusst, dass es aber
grundsätzlich keine preiswerten oder kostenlosen Angebote gibt. Wir zahlen
immer mit unseren Daten und mit den höchsten unserer Güter, unserer
Privatsphäre sowie mit unserer Aufmerksamkeit für die uns auf allen Kanälen
untergeschobene Werbung. So ist das Ausgeliefertsein an übermächtige Instanzen
der Überwachung und Zensur zur conditio humana, zur Grundbedingung unserer
Kultur geworden. Wir können dies zwar noch ansatzweise erkennen und
reflektieren, aber keineswegs mehr rückgängig machen. Wir haben uns daran
gewöhnt, ebenso wie an die unzähligen Videokameras, von denen wir uns auf dem
Weg zur Arbeitsstätte oder nach Hause nicht mehr aufhalten lassen.
Wir sind auf dem bestem Wege, Überwachung und Zensur als
allgemein gegeben zu akzeptieren, so wie wir andere Bedingungen unserer modernen
Existenz – Verkehrslärm, Allgegenwart von Werbung, Umweltverschmutzung,
Bedeutungslosigkeit im politischen Raum – als grundsätzlich gegeben zu
akzeptieren gelernt haben. Trotz höchst alarmierender Erkenntnisse hat heute
bereits ein großer Teil der Öffentlichkeit vor der Allgegenwart staatlicher und
privater Überwachung resigniert. Unsere Enkel werden uns hoffentlich noch
fragen können, was wir denn dagegen unternommen haben – in einer
gleichgeschalteten Gesellschaft werden solche Fragen nicht mehr aufkommen.
Für den Artikel ist der Verfasser verantwortlich, dem auch
das Urheberrecht obliegt. Redaktionelle Inhalte von European-News-Agency können
auf anderen Webseiten zitiert werden, wenn das Zitat maximal 5% des
Gesamt-Textes ausmacht, als solches gekennzeichnet ist und die Quelle benannt
(verlinkt) wird.
Kommentare
Kommentar veröffentlichen